#29: Super-GAU

Behauptung: Der Super-GAU kann jeden Tag passieren.

Die EWS behaupten (Originalgrund)

Die ›Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke Phase B‹ von 1989 beziffert das Risiko eines Super-GAUs aufgrund technischen Versagens in einem westdeutschen Atomkraftwerk mit 0,003 Prozent pro Jahr. Das klingt wenig. Aber allein in der EU gibt es (Stand Ende 2007) 146 Atomkraftwerke. Bei einer Betriebszeit von 40 Jahren käme es hier demnach mit einer Wahrscheinlichkeit von über 16 Prozent zu einem Super-GAU. Viele mögliche Störfallszenarien und gefährliche Altersmängel in den Reaktoren sind dabei gar nicht berücksichtigt – genauso wenig wie alle Unfälle, die, wie Harrisburg und Tschernobyl, unter anderem durch menschliches Versagen passieren.

„Weiterführende Informationen” der EWS

„Quellen” der EWS

  • [Click]Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke Phase B. – GRS-A-1600, Köln, Juni 1989. Rechenweg: (1 – 0,003 %) hoch 146 hoch 40 = 83,928694 % (Wahrscheinlichkeit, dass kein Super-GAU passiert); 1 – 83,928694 % = 16,071305954 % Wahrscheinlichkeit, dass ein Super-GAU passiert)

Richtig ist …

Die angeführte Studie schätzt das Eintreten sogenannter Schadensfälle ab, der Begriff „Super-GAU” ist eine Erfindung der Antiatombewegung. Ein Schadensfall muss noch lange nicht zu einer Kernschmelze führen, eine Kernschmelze noch lange nicht zur Freisetzung größerer Mengen Radioaktivität, und freigesetzte Radioaktivität noch lange nicht zu gesundheitlichen Folgen. Die absolute Wahrscheinlichkeit, soviel Radioaktivität wie in Fukushima oder mehr freizusetzen, ist nach der ›Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke Phase B‹ nochmal etwa um einen Faktor 100 geringer.

Der Vergleich der Unfälle Tschernobyl und Harrisburg wäre etwa so, als vergleiche man für die Insassensicherheit den Aufprallschutz eines Trabants mit einem Panzer. In Harrisburg kam es zur Kernschmelze, die Störungen wurden erst Stunden später bemerkt, der Aufwand der Gegenmaßnahmen hielt sich in Grenzen. Trotzdem kam kein Mensch zu Schaden, bereits nach 2 Wochen zog dort wieder der Alltag ein. In Fukushima schmolzen gleich 3 Kerne infolge eines sehr schweren Naturereignisses, das 20 000 Tote forderte, wobei bereits damals bekannt war, dass die Notstromdiesel gegen Hochwasser schlecht gesichert und keine Filter vorhanden waren. Es werden auch hier keine Strahlenopfer zu beklagen sein.

Dies zeigt, dass bereits die wassermoderierten Reaktoren extrem verzeihend auf Planungs- und Bedienfehler reagieren, die passiven Barrieren wirkten, wie vorgesehen. Die deutschen Reaktoren sind passiv mindestens so gut ausgerüstet wie Harrisburg. Es sind zukünftige Reaktoren baubar, bei denen eine Kernschmelze bzw. das Austreten nennenswerter Mengen von Radioaktivität bei intakten Strukturen nicht möglich ist.

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3 Antworten zu #29: Super-GAU

  1. Daniel G. sagt:

    Auch, wenn es um eine „deutsche“ Risikostudie geht und in deutschen Anlagen bisher keine Unfälle (INES 5 und größer) gegeben hat. Wenn man sich des gesunden Menschenverstands bedient, erkennt man doch: Es gab international in den letzten 40 Jahren mindestens 3 Zwischenfälle mit INES 5 oder größer (Three Mile Island, Tschernobyl, Fukushima). Das heißt, es gab im internationalen Maßstab, wenn man so will, seit 1979 alle 12 Jahre einen Unfall. Was soll dieser ständige Verweis auf hypothetische Eintrittswahrscheinlichkeiten, wenn Unfälle in der Realität bereits deutlich früher und häufiger aufgetreten sind?
    Zitat zu TMI: „Trotzdem kam kein Mensch zu Schaden, bereits nach 2 Wochen zog dort wieder der Alltag ein.“
    Dass kein Mensch direkt zu Schaden kam, ist korrekt. Aber von eingezogenem Alltag kann nun wirklich keine Rede sein. Die Aufräumarbeiten dauerten fast 15 Jahre, die Kosten beliefen sich auf 1 Milliarde Dollar und auch der bis 1985 aufrechterhaltene Plan, die Anlange wieder in Betrieb zu nehmen, musste verworfen werden. Der Nachbarsblock 1 wurde im Übrigen auch nicht sofort wieder in Betrieb genommen, sondern erst Jahre später.
    Die folgenden beiden Zitate sind wahrere Knaller.
    Zitat 1: „[Es war bekannt],dass die Notstromdiesel gegen Hochwasser schlecht gesichert und keine Filter vorhanden waren.“
    Mit diesem Argument werden die Diskussionen um Eintrittswahrscheinlichkeiten völlig ad absurdum geführt. Denn laut Ihrer Aussage können nicht mal die bekannten Mängel adäquat in Risikostudien berücksichtigt werden.
    Zitat 2: „Es werden auch hier [in Fukushim] keine Strahlenopfer zu beklagen sein.“
    Einfach unseriös. Woher wissen Sie das? Können Sie absehen, ob es in etlichen Jahren nicht doch Studien und Erkenntnisse geben wird, die Langzeitschäden nachweisen können werden?

  2. Johnny Doepp sagt:

    Vergaß: Menschliches Versagen gehört ebenfalls in eine solche PSA mit hinein. Läuft unter der Bezeichnung „Human Factor“, und beinhaltet menschliches Fehlverhalten in kritischen Situationen bei Entscheidungen. Ein Ergebnis solcher Analysen war u.a. eine Verbesserung der Notfallprozeduren und der Notfallhandbücher.

  3. Johnny Doepp sagt:

    Vielleicht darf ich noch etwas hinzufügen. Nach der Logik des EWS würde also bei einer Eintretenswahrscheinlichkeit eines Ereignisses von 10% pro Jahr und Alnage bei 10 Anlagen eine Gesamtwahrscheinlichkeit (nicht Häufigkeit!) von 100% pro Jahr eintreten – also mit Gewissheit. Bei 20 Anlagen sind es dann 200% Eintretenswahrscheinlichkeit pro Jahr, oder? Ich glaube, Wahrscheinlichkeitstheorie funktioniert so nicht. Ferner sollte man die angeführten Referenzen erstmal richtig verstehen. Diese probablistische Sicherheitsanalyse ist ein Werkzeug zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit von möglichen Kernschadensszenarien. Die Ergebisse sind meistens eher qualitativ zu verstehen, z.B. sind die relativen Wahrscheinlichkeiten für die unterschiedlichen Pfade relevant, weniger die totale Wahrscheinlichkeit. Zweitens sind diese Analysen (aus Mangel an genaueren Informationen oder wegen der großen Komplexität der Anlagen) überaus konservativ. Es wird bei unbekannten Wahrscheinlichkeiten für Teilausfälle konservativ ein Ausfall mit 100% Wahrscheinlichkeit unterstellt. Das treibt auch die Gesamtwahrscheinlichkeit für das Top-Ereignis in die Höhe. Aber wie gesagt, ist das eigentlich nicht so wichtig, da man im Wesentlichen NUR die relativen Wichtigkeiten für verschiedene Schaden- und Ausfallpfade wissen möchte, und wie stark diese voneinander abweichen. Als Reaktion auf eine solche Studie kann man besonders anfällige, also wahrscheinliche Schadenspfade, durch Redundanz und Diversität unwirksam machen. Eine Probablistische Sicherheitsanalyse (PSA) dient also vornehmlich der Analyse der Sicherheitsaspekte eines komplex aufgebauten Systems, und nicht um wirkliche Vorhersagen für auftretende Ereignisse zu machen. Letzteres möchte man ja auch nie erleben. Die gesetzten Grenzwerte für Gesamtwahrscheinlichkeiten von gegenwärtig maximal 10^-6 Kernschadenszustände pro Jahr und Anlage geben daher auch eher die Auflösung der Fehlerbaumanalyse vor, als dass sie die wirkliche Wahrscheinlichkeit eines Kernschadenszustands repräsentiert. Die Risikostudien A und B waren demgemäß auch lediglich prototypische Analysen, um die Verfahren an den existierenden KKWs zu testen. Diese Verfahren werden auch – ganz im Sinne der Modernisierung von Wissenschaft und Technik – weiterentwickelt. Der Leitfaden zum Führen einer PSA nach diesem aktuellen Stand wurde 2005 vom BfS herausgegeben, von der GRS am KKW GKN 2 (Neckarwestheim) getestet (http://www.grs.de/content/grs-175-bewertung-des-unfallrisikos-fortschrittlicher-druckwasserreaktoren-deutschland), und die Betreiber sollten sich an diesen halten, wenn sie alle 10 Jahre die inzwischen gesetzlich geforderte PSA durchführen. Es ist recht genau beschrieben, wie besagte Wahrscheinlichkeiten der Basisereignisse zu bestimmen bzw. zu erhalten sind. Es gibt auch schon große Datenbanken dafür. Was typisch für eine einzelne Anlage ist, muss selbst bestimmt werden. Die Regulierungsbehörden legen wert auf Transparenz.

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